Niedriglohnsektor kein Sprungbrett: Nur 12% kommen wieder raus / Verschiebung der „Schwelle der Respektabilität nach unten“
Mit Sorge verfolgt die Armutskonferenz die von Finanzminister Schelling geforderten Kürzungsvorschläge im sozialen Netz für die Einkommensschwächsten im Land. „Wenn diese umgesetzt werden, drohen auch in Österreich verstärkt Entwicklungen wie sie in Deutschland im Zuge der Hartz-IV-Maßnahmen zu beobachten waren“, analysiert die Armutskonferenz, das Netzwerk von über 40 Initiativen aus sozialen Organisationen, Selbsthilfeinitiativen, Wissenschaft, Bildungseinrichtungen und Armutsbetroffenen. Die in der Armutskonferenz zusammengeschlossenen sozialen Organisationen beraten, unterstützen und begleiten über 500.000 Menschen im Jahr.
„Die weitere Durchlöcherung des unteren sozialen Netz führt zu einer Abwärtsspirale, die Armutssituationen verschärft und verlängert. Zudem würde es die Zahl der Personen im untersten Netz massiv erhöhen: Während in Österreich derzeit 1% der Bevölkerung Mindestsicherung beziehen, sind in Deutschland 10% im Hartz-IV-System. Und fachlich ist Schelling schlecht informiert: Die Höhe des Arbeitslosengeldes liegt in Österreich mit 55% unter dem EU-Durchschnitt.“
Die Abschaffung der Notstandshilfe würde auch eine massive Schlechterstellung für Arbeitslose bedeuten und einen Anstieg der Altersarmut – keine Pensionsversicherung mehr – mit sich bringen.
Immer mehr Menschen werden über unwürdige und entwürdigende Arbeit in den Arbeitsmarkt integriert. Deutschland hatte in den letzten zehn Jahren den raschest wachsenden Niedriglohnsektor Europas. Die Mehrzahl der Menschen im Niedriglohnsektor in Deutschland verfügt übrigens entgegen aller Vorurteile über eine abgeschlossene Berufsausbildung.
Prekarität bezeichnet unsichere, instabile Arbeits-, Beschäftigungs-und Lebensverhältnisse. Prekär ist eine Beschäftigung dann, wenn sie nicht dauerhaft oberhalb eines gesellschaftlich definierten Minimums Existenz sichernd ist und deshalb in den Dimensionen. Arbeitszufriedenheit, soziale Wertschätzung/Anerkennung, Partizipation und längerfristige Lebensplanung dauerhaft diskriminiert. Die Formen sind nach Bildung unterschiedlich und doch gleich: „Der Akademiker im ewigen Projekt, der Arbeiter im Niedriglohnsektor, die Zugewanderte, die im Haushalt putzt“.
„Schnell hinein und umso schwerer wieder heraus“
Die Armutskonferenz entlarvt einen weiteren Mythos : Prekäre Beschäftigung ist „kein Sprungbrett in den sog. ersten Arbeitsmarkt“. Nur 12% steigen in bessere Arbeitsverhältnisse um. „Man fällt schnell hinein und kommt umso schwerer wieder heraus“. Es entstehen vielmehr Drehtüreffekte, „zirkulare Mobilität“ wie Dörre es nennt, vom schlechtem Job zum schlechtem Job.
Hartz IV hat keine neue Arbeit geschaffen. Das Arbeitsvolumen bezahlter Arbeit ist in Deutschland gesunken. Dieser Rückgang ist aber nicht gleich verteilt. Ein sinkendes Arbeitsvolumen wird durch atypische Beschäftigungsverhältnisse auf immer mehr Schultern verbreitert – Teilzeitbeschäftigung, Geringfügigkeit, Leiharbeit. Zehn bis 15 Prozent der im globalen Norden lebenden Menschen werden somit aus dem Umfeld halbwegs gesicherter Erwerbsarbeit ausgeschlossen.
Schwelle der Respektabilität gesenkt
Der renommierte Sozialforscher Klaus Dörre weist auf ein zentrales Problem in:
„Wer rund um Hartz IV verdient, ist gesellschaftlich nicht mehr respektiert“. Prekarität hat „die Schwelle der Respektabilität verändert“ und „den Druck auf die Leute erhöht“. Hartz IV ist die Verschiebung der Schwelle der Respektabilität nach unten. Die Betroffenen werden gesellschaftlich missachtet.
„Hartz IV ist wie ein Hamsterrad, das Leute unterhalb der Schwelle der Respektabilität hält“. Dörre zitiert aus seinen Befragungen. Die Prekaritäts-Logik „verlangt, jene qualitativen Ansprüche an Arbeit und Leben aufzugeben, die besonderes Engagement motivieren. Das Leitbild von Hartz IV klagt etwas ein, was in der Praxis zertrümmert wird: Eigenverantwortung und Initiative“, so Dörre.
Die Distanz solcher Ideen gegenüber Leuten, die am Limit leben, ist enorm, denn alle Vorschläge führen dazu, dass Menschen ohne Arbeit in die Armenfürsorge abgedrängt werden“, so die Armutskonferenz. Reformen wären sinnvoll, wenn sie versuchen würden, die Existenz der Menschen zu sichern, „aber nicht, wenn sie Arbeitslose weiter in den Abgrund treiben.“ Die Notstandshilfe trägt auch einen missverständlichen Namen. Sie ist eine Versicherungsleistung und kein Almosen.