Interview mit Mag. Martin Schenk, Sozialexperte der Diakonie und Mitinitiator der Armutskonferenz
Warum ist die Partizipation von Armutsbetroffenen so wichtig?
Wer das Wort ergreift, hat etwas zu erzählen. Wer jemand ist oder war, können wir nur erfahren, wenn wir die Geschichte hören, deren Held/in er oder sie ist. Das Wort zu ergreifen, heißt nicht für jemand sprechen, sondern selbst sprechen. Wenn Ausgeschlossene die eigene Lebenswelt sichtbar machen, schaffen sie einen Ort, von dem aus sie sprechen können. Der Vorhang öffnet sich zu einer Bühne, auf der die eigene Geschichte eine eigene Deutung und zugleich Bedeutung erfährt. Das vermeintlich Unspektakuläre des eigenen Lebens bekommt eine Bühne und wird besonders. Die das Wort ergreifen, können zur Sprache bringen, wer sie sind und wer sie sein können.
Welche gesellschaftlichen Veränderungen können Armutsnetzwerke bewirken?
Kooperation und Zusammenarbeit sind ein starkes Instrument. Wenn sich Menschen, Initiativen und Organisationen zusammentun, ihre Standpunkte verhandeln und ihre Interessen austauschen, dann entsteht etwas Neues. Ein Netzwerk macht aus eins und eins drei. Ein Netzwerk kreiert Räume, sich zu engagieren, die es vorher nicht gegeben hat. Ein Netzwerk involviert Menschen.
Welche Rolle muss die Zivilgesellschaft als Korrektiv in der restriktiven Politik übernehmen?
Wir müssen uns zusammentun. Allein geht gar nichts. Gerade wenn es eng wird, wenn Austeritätspolitiken und Sozialkürzungen noch weiter belasten, dann sind Netzwerke lebenswichtig; notwendig, sich nicht spalten zu lassen. Im Engagement gegen Armut geht es um eine strukturell politische Ebene, um entsprechende Gesetzesänderungen und strukturelle Gleichstellung; um die Herstellung von Gegenöffentlichkeit, um einen Kampf der Bedeutungen, um öffentliche Kritik und politische Aktionen; um das Eingreifen in die Felder, in denen Bedeutungen gemacht werden: also in der Wissenschaft und den Medien. Es geht darum, von Ausgrenzung und Armut betroffene Gruppen in eine „Position der Stärke“ zu bringen und um ein Eingreifen in alle Situationen des Alltags, in denen Menschen an den Rand gedrängt, beleidigt und diskriminiert werden. Nicht zuletzt geht es auch um eine kontinuierliche Selbstreflexion, bei der stets zu prüfen ist, ob sich aus dem eigenen Engagement nicht ein neuer Paternalismus entwickelt hat. Schließlich geht es um die subjektbezogene Arbeit mit Einzelnen und Gruppen in Pädagogik und Weiterbildung und um die Unterstützung der Selbstorganisation Benachteiligter.
Das Interview ist im Rundbrief (Mai 2015) der Sozialplattform OÖ erschienen.