von Norbert Krammer, VertretungsNetz – Sachwalterschaft
Ein gut dokumentiertes Phänomen von Nicht-Inanspruchnahme ist die sogenannte Non-Take-Up-Rate bei Sozialhilfe-Leistungen bzw. Bedarfsorientierter Mindestsicherung. Wissenschaftliche Untersuchungen schätzen den Anteil jener Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen – meist Scham, Unwissenheit oder administrative Hürden – den grundsätzlich bestehenden Anspruch nicht geltend machen, auf weitere rund 60 Prozent.
Dieser Aspekt wird in öffentlichen Debatten kaum prominent oder nur verschämt diskutiert. Eine sich aus der Nicht-Inanspruchnahme schlüssig ergebende Konsequenz liegt in notwendiger Umsetzung vermehrter und konzentrierter Anstrengungen, um Sozialleistungen leichter für die Bedarfsgruppen zugänglich zu machen.
Einer der Gründe für die Non-Take-Up-Rate wird in sprachlichen Barrieren gesehen. Obwohl die Sozialverwaltung potentiellen Anspruchsgruppen umfassendes Informationsmaterial auch in mehreren Sprachen zur Verfügung stellt, macht dieses Bemühen des verbesserten Zugangs schon bei den Antragsformularen wieder Halt. Mehrseitige Anträge und mehrfach abzugebende Erklärungen – beispielsweise zu Einkommens- und Vermögensdaten, Ansprüche von dritter Seite usw. – überfordern auch versierte AntragsstellerInnen. Knappe Erläuterungen helfen dabei wenig weiter.
Nicht nur Menschen mit eingeschränkten Deutsch-Kenntnissen stoßen schnell an ihre Grenzen, sondern auch alle Menschen mit geringer Lesekompetenz.
Laut Studie der UNESCO – der Bildungsorganisation der Vereinten Nationen – sind in Österreich rund eine Million erwachsener Menschen als funktionale Analphabeten einzustufen. Damit wird die Unfähigkeit bezeichnet, im Alltag die Schrift dem Kontext entsprechend zu nutzen. Sinnerfassendes Lesen und Schreiben ist dabei nur sehr eingeschränkt vorhanden. Für diese Menschen sind die endlos langen Formulare der Behörden eine extrem hohe Hürde. Ohne Hilfestellung durch Familie, FreundInnen oder Beratungsstellen sind schriftliche Anträge nicht umsetzbar.
Unterstützend kann die direkte Antragstellung bei der zuständigen Behörde sein. Beispielsweise ein Antrag bei der Bezirkshauptmannschaft wegen Bedarfsorientierter Mindestsicherung (BMS) oder für Leistungen nach dem Chancengleichheitsgesetz (ChG). Die SachbearbeiterInnen müssen den/die Antragsteller/in über die Abläufe informieren, über notwendige Verfahrensschritte aufklären und beim meist schriftlich notwendigen Antrag unterstützen. Im besten Fall funktioniert diese auch im Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) verankerte und für die Verwaltung bindende sogenannte Manuduktionspflicht reibungslos und erfolgreich. Die Zugangshürden sollten damit minimiert und unliebsame Rechtsfolgen (beispielsweise durch fehlende Unterlagen oder unvollständige Angaben) ausgeschlossen werden.
Für Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen ist eine funktionierende Unterstützung durch MitarbeiterInnen der Verwaltung ebenfalls wichtig.
Und es ist durchaus denkbar, dass es dabei im Sinn der Manuduktionspflicht für die Verwaltung besonderer Anstrengungen bedarf. Die von Österreich ratifizierte UN-Behindertenrechtskonvention schließt eine strukturelle Diskriminierung durch unterschiedliche Zugänglichkeit bei öffentlichen Leistungen aus. Das Land Oberösterreich bietet daher folgerichtig bereits mehrere Informationsbroschüren in LL-Version, also in leicht lesbarer Sprache. Diese sind damit auch für Menschen mit Beeinträchtigung besser nutzbar. Ein wichtiger Schritt für die erforderliche Zugänglichkeit zu Informationen für alle Menschen.
Ein hervorzuhebendes und positives Beispiel des Landes Oberösterreich bei der Vollziehung des ChG: die Ausstellung der Bescheide in Leichter Sprache.
Bereits im letzten Jahr wurde dies probeweise umgesetzt und nun legt das Landesgesetz seit März 2015 verbindlich fest, dass Bescheide jedenfalls in leicht verständlicher Form (LL) auszustellen sind (§ 24 oö ChG). Auf Wunsch des Menschen mit Beeinträchtigung oder eines der Behörde bekannten Bedarfes, ist darüber hinaus der Bescheid in einer besonders leicht lesbaren Form (LL-A2) zu verfassen. Ein interner Zwischenbericht des Landes notiert über 8.000 ausgestellte LL-Bescheide. Festgestellt werden kann, dass sich in Oberösterreich – vorerst nur im Bereich des ChG – die Lesbarkeit der Bescheide erheblich verbessert. Gratulation! Und der im ChG bereits geplante nächste Schritt – Anträge ebenfalls in LL – sollte für weitere Behörden und andere Bundesländer Ansporn sein, mit dem barrierefreien Leistungszugang gleichzuziehen und die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ernst zu nehmen.
Der Abbau von Zugangshürden zur Reduktion der Non-Take-Up-Rate könnte auf vielen Wegen erreicht werden. Einige wurden bereits angesprochen. Bedeutsam ist hierbei auch die konkrete Umsetzung des Gesetzes durch die MitarbeiterInnen am Sozialamt. Besonders der Vollzug der BMS ist öfters heftiger Kritik ausgesetzt und Gegenstand von Medienberichten. Viele dieser Mängel werden durch eine Studie der österreichischen Armutskonferenz bestätigt. Trotzdem ist festzustellen, dass die Mehrzahl der Leistungsverfahren korrekt und ordnungsgemäß abgewickelt wird. Bei derzeit rund 14.000 BMS-BezieherInnen in Oberösterreich, eine nicht zu unterschätzende Herausforderung.
Anstrengungen zur Verbesserung müssen trotzdem weiter unternommen werden, auch wenn aufkeimende unnötige Sozialschmarotzer-Debatten bei Optimierungen hinderlich sind.
Mit Artikel 41 legt die Charta der Grundrechte der Europäischen Union das Recht auf eine gute Verwaltung fest. Ein Ansporn für alle Beteiligten!
Bild: Land OÖ, Roswitha Schimpl