Österreich ist kein sozialpolitisches Ödland. Nein, das wäre wirklich eine maßlose Übertreibung der KritikerInnen. Denn die vielen Transferleistungen und das wohlfahrtstaatliche Sicherungssystem zeichnen ein gut ausgewogenes soziales System aus, das wesentlich zur Reduktion von Armutsgefährdung beiträgt. Von den Umverteilungsmaßnahmen profitieren alle Menschen in Österreich. Ein Blick in den Bundes-Sozialbericht macht deutlich, dass die staatlichen Ausgaben für Pensionsleistungen mit rund dreiviertel der Gesamtsozialausgaben den größten Budgetposten darstellen. Norbert Krammer, VertretungsNetz – Sachwalterschaft
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Trotzdem wird in der medialen politischen Diskussion der Eindruck vermittelt, dass Probleme bei der Finanzierbarkeit des Wohlfahrtsstaates insbesondere durch Soziale Dienste, Zuschüsse im Senioren- und Behindertenbereich oder der Mindestsicherung entstehen würden.
Das Mindeste wird in Frage gestellt
Oberösterreich tat sich bereits 2016 durch massive Kürzungen der Mindeststandards bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung (BMS) hervor. Die Kürzung betrifft asylberechtigte Menschen, die 2017 statt € 921,40 nur mehr € 560 als Mindeststandard erhalten. Sollten die aufgetragenen Maßnahmen der abzuschließenden Integrationserklärung nicht erfüllt werden, wird die monatliche Unterstützung auf € 405 gekürzt. Dies ist weder bedarfsorientiert noch Mindeststandard. Subsidiär schutzberechtigte Menschen werden nun in Oberösterreich gänzlich von den Leistungen der BMS ausgeschlossen. Bereits beschlossen hat die oö. ÖVP-FPÖ-Regierung die mit Oktober 2017 wirksam werdende Deckelung der BMS-Leistung auf maximal € 1.500 pro Haushalt, die für alle LeistungsbezieherInnen – österreichische StaatsbürgerInnen, EU-BürgerInnen und denen gleichgestellte Personen – gelten werden.
Die Unübersichtlichkeit der von der Österreichischen Armutskonferenz als „Deckelungsgesetz“ titulierten Kürzungsnovelle ist beachtlich: Die vielen Ausnahmen – von der Arbeitsunfähigkeit über pflegende Angehörige bis hin zum Bezug der erhöhten Familienbeihilfe – sind im Detail noch unscharf und geben viel Interpretationsspielraum für den Vollzug. Genau hier liegt laut ExpertInnen ein grundsätzliches Problem bei bedarfsgeprüften Sozialleistungen auf Länderebene – wie Sozialhilfe, Mindestsicherung oder Behindertenhilfe. Fehlende klare Verfahrensregeln und unzureichende Personalausstattung führen zu geringen Beratungs- und Serviceleistungen der Behörden, was wiederum den Zugang zu den Leistungen erschwert und die Nicht-Inanspruchnahme erhöht. Dieser Prozess wird noch durch die nicht leicht zu durchschauenden Voraussetzungen und Bedingungen für Leistungen der BMS angekurbelt.
Mit der Bedarfsorientierten Mindestsicherung wurde nach langen Verhandlungen ein am Ausgleichszulagenrichtsatz des Pensionssystems orientierter Richtwert als Mindeststandard im Bund-Länder-Vertrag zur BMS, der sogenannten Art-15a-B-VG-Vereinbarung, festgelegt. Damit sind die zu erwartenden Mindest-Lebenshaltungskosten abzudecken, ein Viertel des Mindeststandards ist für Wohnkosten reserviert. Die vorgenommenen Kürzungen und Deckelungen greifen in dieses ausbalancierte System ein. Das Mindeste für den Lebensbedarf wird nicht mehr abgesichert.
Beispiel erhöhte Familienbeihilfe in der BMS
In dem bis Ende 2016 verbindlich für alle Bundesländer geltenden Bund-Länder-Vertrag zur BMS war ausdrücklich festgeschrieben, dass die Familienbeihilfe nicht als Einkommen anzurechnen ist. Diese Festlegung aus dem Jahr 2010 war für Menschen mit Beeinträchtigungen ein großer Fortschritt. Denn der Bezug der erhöhten Familienbeihilfe diente dazu, den behindertenspezifischen Mehraufwand aufgrund einer dauerhaften erheblichen Behinderung teilweise abdecken zu können. Das Land Oberösterreich hat diesen Teil der BMS-Vereinbarung negiert und die volle Anrechnung der Familienbeihilfe festgelegt.
Gegen dieses Vorgehen wurden Rechtsmittel eingebracht und der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob jene Bestimmung der oö BMS-Verordnung auf, in der die Anrechnung der erhöhten Familienbeihilfe geregelt wurde. Leider hat der VfGH nicht die Anrechnung der gesamten (erhöhten) Familienbeihilfe untersagt, sondern nur den Erhöhungsbetrag – also die „Verdoppelung“ – darf keinesfalls als Einkommen gewertet werden. Ein erster Erfolg und ein Schuss vor den Bug für das Landes Oberösterreich! Die einheitliche Umsetzung der Art-15a-B-VG-Vereinbarung war vertraglich paktiert. Leider haben einzelne Bundesländer kleine juristische Schlupflöcher genutzt und benachteiligende Regelungen beschlossen.
Die Hoffnung, dass nach dem VfGH-Erkenntnis endlich mit der finanziellen Benachteiligung von Menschen mit Beeinträchtigungen Schluss sein würde, hat sich nicht erfüllt. Noch immer rechnet Oberösterreich den Grundbetrag der Familienbeihilfe bei der Bemessung der BMS entsprechend ein und stellt damit Menschen mit Beeinträchtigungen in Oberösterreich gegenüber den LeistungsbezieherInnen in anderen Bundesländern deutlich schlechter.
Selbstbestimmtes Leben wird unzureichend unterstützt
Selbstbestimmtes Leben und Inklusion in der Gemeinschaft: Dieses Postulat führt Artikel 19 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) bereits im Titel und legt in den Ausführungen eine Reihe von Selbstverpflichtungen der Unterzeichnerstaaten fest. Menschen mit Beeinträchtigungen müssen beispielsweise die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort selbst wählen und entscheiden zu können, mit wem sie dort leben. Mit dem Bekenntnis zu Autonomie und sozialer Inklusion in einem völkerrechtlichen Vertrag sind wichtige Ziele für die praktische Umsetzung der Sozialpolitik auf Bundes- und Länderebene skizziert. Es geht dabei nicht um utopische Forderungen, nein, es sollen „nur“ die gleichen Rechte für alle Menschen gelten und die Behinderung von Menschen mit Beeinträchtigungen beendet werden.
Bei einem Vergleich hält die Realität mit diesen hehren Zielen nicht Schritt. Die Oberösterreichische Plattform bedarfsgerechte Persönliche Assistenz macht unermüdlich auf die Missstände aufmerksam, jüngst mit einer öffentlichen Protestversammlung in Linz. Die Wartelisten für Persönliche Assistenz sind elendslang und beinhalten allein für Oberösterreich mehr als 1.300 Personen. Wobei das Leistungsangebot bisher im Gesamtumfang ohnehin schon eingeschränkt ist, denn Menschen mit intellektueller oder psychischer Beeinträchtigung bleiben ausgeschlossen. Das zeigt, dass es dringend eine massive Ausweitung des Leistungsangebotes braucht!
Als Folge des bestehenden Defizits an mobilen und selbstbestimmten Angeboten breiten sich die Fürsorgegedanken bei Angehörigen, der Politik und auch der Verwaltung weiter aus. Letztendlich mündet dies in der Empfehlung für eine stationäre Einrichtung oder im besten Fall eine Wohngemeinschaft als logische Konsequenz fehlender ambulanter Unterstützungsstrukturen. Doch auch hier warten in Oberösterreich extrem viele Menschen auf eine entsprechende Wohneinrichtung: Laut Plattform sind es bereits fast 3.500 Menschen mit Beeinträchtigungen, die auf dieser Warteliste ausharren.
Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenkonvention fehlt
Bei Betrachtung der hier aufgezählten Mängel wird ersichtlich, dass es für die Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Beeinträchtigungen in Oberösterreich unerlässlich ist, die Umsetzung der UN-BRK auf Landesebene konsequent zu planen und zu überwachen.
Dazu sollte auch der Landes-Monitoring-Ausschuss beitragen. Dieser hat aber seit über einem Jahr nicht eine Sitzung abgehalten und ist derzeit ohne Vorsitzende/Vorsitzenden. Erst kürzlich wurde durch eine viel kritisierte Novelle des Antidiskriminierungsgesetzes versucht, die Rolle dieses Ausschusses weiter als verwaltungsnahen Beirat ohne Ressourcen zu definieren. Die UN-BRK legt als Grundsätze nicht nur die Unabhängigkeit des Monitoring-Ausschusses als Grundelement fest – dies bedeutet auch eigenverantwortliche Wahl des Vorsitzes -, sondern sieht gemäß Pariser Prinzipien in der Entscheidungskompetenz über ein eigenes Budget einen wichtigen Baustein des Erfolgs bei der notwendigen Überwachung der Umsetzung der UN-BRK. Diese Elemente fehlen bisher in Oberösterreich.
Ein Landes-Aktionsplan zur Umsetzung der UN-BRK ist dringend erforderlich, damit die bestehenden Defizite systematisch und im Sinn der Selbstbestimmung und Gleichstellung von Menschen mit Beeinträchtigungen beseitigt werden können. Widrigenfalls ist zu befürchten, dass weiterhin das Verwaltungshandeln und kurzfristige politische Ziele, gekoppelt mit der ständig herbeigeredeten Budgetknappheit, den Maßstab für sozialpolitisches und menschenrechtliches Handeln bleiben.