Ost-Slowakei: „Die soziale Situation der Roma wird täglich schlechter“

GruppemitBürgermeisterArbeitslosigkeit, desolate Häuser, verseuchtes Trinkwasser. Das sind einige der Lebensbedingungen der Roma in der Ost-Slowakei. Da die staatliche Sozialhilfe nicht zum Leben reicht, gibt es immer mehr Roma, die nach Deutschland, Italien oder Österreich betteln kommen. Auch in Vöcklabruck suchen rund 15 Männer aus dem Landkreis Rimavská Sobota als Bettler, Pantomimen und Musiker Unterstützung. Eine Gruppe des Armutsnetzwerkes Vöcklabruck besuchte im Mai die Heimat der „Bettler von Vöcklabruck“, um sich über deren Lebenssituation zu informieren.

ein Beitrag von Stefan Hindinger, Armutsnetzwerk Vöcklabruck

 

Die soziale Lage wird täglich schlechter“, berichtet Aladar Bari, der Bürgermeister von Radnovce. Seine Gemeinde hat 870 Einwohner, davon sind rund 300 Kinder. 97 Prozent der Bewohner sind arbeitslos. In einem kleinen 2-Zimmer-Haus – oft desolat – leben meist zwei bis drei Familien. Es fehlt an Vielem. Nicht selten haben zwei Kinder zusammen nur ein Paar Schuhe. Der halbe Ort geht ins Ausland betteln. So auch Robert, dessen Familie wir besuchen. Die Großfamilie – Eltern, zwei Kinder, Großeltern – lebt in dem kleinen Haus. Statt einem WC gibt es ein „Plumpsklo“ im Garten. Im Ort gib es keinen Kanal und kein sauberes Trinkwasser. Getrunken wird das Wasser aus Hausbrunnen, was eigentlich verboten ist, weil das Wasser bakteriell und mit Nitrat verseucht ist.

Der Bürgermeister erzählt, dass es von der Regierung wenig Unterstützung gibt. „Das Geld geht nach Bratislava und Umgebung, wo die Arbeitslosenrate sehr gering ist.“ Die Situation ist in vielen anderen Roma-Dörfern oft noch schlechter. Immerhin hat Radnovce einen Kindergarten und eine Schule, auch wenn die Gebäude dringend saniert gehören. Die Gemeinde hat auch Grundbesitz, es fehlt aber an Geld für landwirtschaftliche Projekte. So könnten mit einem Schweinezuchtbetrieb zwanzig Arbeitsplätze geschaffen werden. „Die Menschen hätten Kraft, haben aber die Lebensfreude verloren und sind in Agonie verfallen“, antwortet der Bürgermeister auf die Frage nach der Zukunft seiner Gemeinde. Die Situation wird verschärft durch die regelmäßigen Hochwässer, die große Schäden an Straßen, Häusern und Gärten anrichten.

Die Menschen hätten Kraft, haben aber die Lebensfreude verloren und sind in Agonie verfallen

Viele der Roma in der Slowakei leben in Dörfern mit einigen hundert EinwohnerInnen, andere in Siedlungen am Rand von Städten. Auch in der Hauptstadt des Landkreises, Rimavská Sobota, gibt es eine solche. Die Wohnblöcke sind völlig heruntergekommen. „In der Not wurde alles, was verwertbar ist, verkauft, auch die Elektroherde. Gekocht wird nun mit Holzöfen, obwohl es keine Kamine gibt“, erzählt eine Nachbarin. Die Häuser sind mit einer Rußschicht bedeckt. „Schwarze Stadt“ nennen sie die Einheimischen. Wieder andere Roma leben als Minderheit integriert in Gemeinden mit slowakischer bzw. ungarischer Mehrheitsbevölkerung. Insgesamt schätzt man die Zahl der Roma in der Slowakei auf eine halbe Million.

haus-baufällig Hinterhöfe Holztransport Schule Schwarze-Stadt Siedlung Zubau-Garten

Das soziale Problem können weder Stadt noch Regierung lösen

Welche Anstrengungen gibt es, die furchtbare Armut, unter der viele Roma aber auch Slowaken und Ungarn leiden, zu verbessern? Ernüchternd ist das Gespräch mit dem Bürgermeister von Rimavská Sobota, Jozef Simko. Die Stadt hat eine Arbeitslosenrate von 35 Prozent. Früher gab es zahlreiche Industriebetriebe. Diese wurden nach dem Ende der kommunistischen Herrschaft zugesperrt. Viele landwirtschaftliche Grundflächen sind privatisiert. „Das soziale Problem kann weder die Stadt noch die Regierung in Bratislava lösen“, so der Bürgermeister. Heißt das, sich mit der Lage abfinden? Wir reden mit dem 27-jährigen Norbert, der im 560-Einwohner-Dorf Barca lebt. Mit seiner Lebensgefährtin hat er ein Kind. Sie sind nicht verheiratet, weil sie sich die Hochzeit nicht leisten können. Das kleine Haus, in dem auch die Eltern wohnen, und die Einrichtung wurden auf Kredit gekauft. Mit den Einkünften vom Betteln wird ein Teil der teuren Kreditraten bezahlt. Norbert träumt von einer Arbeit als Automechaniker. Doch wie viele andere Roma hat er nur die Grundschule besucht und hat keine Berufsausbildung. Nur wenige Roma-Kinder gehen in Mittelschulen bzw. Berufsbildende Schulen. Studierende gibt es kaum. Der Anteil der Roma in den Sonderschulen ist sehr hoch. „Weil sich viele Eltern wenig um die Schulausbildung ihrer Kinder kümmern“, erklärt eine Lehrerin. Langsam gibt es ein Umdenken. Norbert ist die Bildung seines Kindes ein großes Anliegen. Familienzuwachs wird es nicht geben. „Wir können uns derzeit kein zweites Kind leisten.“

Mit den Einkünften vom Betteln wird ein Teil der teuren Kreditraten bezahlt. Norbert träumt von einer Arbeit als Automechaniker. Doch wie viele andere Roma hat er nur die Grundschule besucht und hat keine Berufsausbildung.

Bildung, Subsistenzwirtschaft und EU-geförderte Regionalentwicklungsprogramme sind für das Armutsnetzwerk Schlüssel zur Verbesserung der Situation der Roma. Neben politischem Willen und Geld braucht es aber auch Zeit. Unsere Gesellschaft wird wohl noch einige Zeit die Konfrontation mit der Armut durch Bettler aushalten müssen, so das Armutsnetzwerk.

Am 11. Juni kann man den Reisebericht inklusive Bilder im Mutterhaus der FranziskanerInnen, Vöcklabruck, anhören und -sehen

Sozialplattform

Die Sozialplattform ist ein regionales Netzwerk von Sozialeinrichtungen in ganz Oberösterreich, das 1985 gegründet wurde. 38 Vereine und gemeinnützige Unternehmen sind zurzeit Mitglied. Vernetzung, Service, Information und Vertretung für eine starke und aktive Sozialszene in OÖ. www.sozialplattform.at