ein Beitrag von Norbert Krammer, VertretungsNetz – Sachwalterschaft
Tief enttäuscht nehmen viele pflegebedürftige Menschen zur Kenntnis, dass die Bundesregierung eine empfindliche Erhöhung der Zugangshürden für die Pflegestufen 1 und 2 beschlossen hat. Der Parlamentsbeschluss steht noch aus, die Kritik wird aber immer lauter.
Mit dem Regierungsentwurf will die Politik erreichen, dass die Anzahl der Pflegegeld-BezieherInnen der beiden ersten Stufen deutlich reduziert wird. Mit dieser Einsparung soll die angekündigte Valorisierung der Pflegegelder ab 2016 gegenfinanziert werden. Dies hält die grüne Sozialsprecherin Judith Schwendtner in einer ersten Reaktion für eine Provokation. Der niederösterreichische AK-Präsident Wieser betont in seiner Aussendung, dass damit Pflegebedürftigen und jenen, die ihre Betreuung übernehmen, geschadet wird.
Sozialminister Hundstorfer rechtfertigt die neue Regelung mit zu geringer Nutzung von professionellen Pflegediensten bei den unteren Pflegegeldstufen. Überdies bestünde eine Finanzierungslücke. Man sollte sich aber erinnern, dass in Österreich das Pflegegeld nur einen Zuschuss zur Abdeckung der Pflegekosten darstellt. Die Finanzierung des gesamten Pflegebedarfs muss folgerichtig immer mit viel persönlichem Einsatz und Eigenmitteln erfolgen.
Meilensteine?
Ein Rechtsanspruch auf Abdeckung von Pflegekosten wird in den Ländern bei ambulanter Betreuung bisher nicht geboten. Hier könnte persönliche Assistenz mit Rechtsanspruch einen ersten Meilenstein bilden und gleichzeitig die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention auf Länder- und Gemeindeebene befördern.
Fast 50 % der BezieherInnen in Oberösterreich Stufe 1 oder 2
Daten der Statistik Austria belegen, dass mehr als die Hälfte aller PflegegeldbezieherInnen Leistungen der Stufe 1 oder 2 erhalten. Auch in Oberösterreich sind dies knapp 36.800 Menschen und damit fast 50 Prozent. Der Bedarf ist also hinreichend belegt und eigentlich eine Erfolgsstory der kleinteiligen Pflegegeldstufen in Österreich, um die uns manche, auch im Nachbarland Deutschland, beneidet haben.
Verschärfung für Menschen mit erheblichem Pflegebedarf unverständlich
Mit der zweiten Verschärfung seit 2011 soll für die Pflegegeldstufe 1 der nachzuweisende monatliche Pflegebedarf auf 65 Stunden pro Monat angehoben werden. Auch die Pflegegeldstufe 2 soll vom Ausgangswert 2011 mit 75 Stunden auf dann 95 Monatsstunden massiv erhöht werden. Was bedeutet dies für beispielsweise Menschen mit psychischer oder intellektueller Beeinträchtigung, die zu Hause leben, Betreuung benötigen und mit viel Engagement den eigenen Lebensraum bewahren wollen? Möglicherweise kein Pflegegeld mehr, denn die Mindeststundenanzahl von 65 wird auch nicht erreicht, wenn das eigenständige Kochen nicht mehr gelingt (30 Stunden Pflegebedarf nach Einstufungsverordnung), die notwendigen Einkäufe ohne Hilfe nicht umzusetzen sind (10 h), zur Wohnungsreinigung Unterstützung benötigt wird (10 h), die Wäsche nicht selbst gereinigt werden kann (ebenfalls 10 h) und beim Duschen oder Baden Pflegebedarf besteht (4 h). In Summe ergibt dies im aufgelisteten Beispiel 64 Stunden für einen Menschen, der doch offensichtlich viel Unterstützung benötigt und dessen Pflegebedarf auch nach der schematisierten Quantifizierung der Pflegegeldeinstufung erheblich ist. Aber das ist noch nicht ausreichend, um zukünftig das Pflegegeld der Stufe 1 zu gewähren. Für uns ist dies unverständlich.
Priorität für Finanzierung der stationären Pflege
Für die Aufnahme in ein Pflegeheim ist in Oberösterreich in der Regel der Bezug von Pflegegeld ab Stufe 3 Voraussetzung. Damit ist klar, dass diesem Bereich und damit der Finanzierbarkeit der stationären Pflege mehr Priorität eingeräumt wird. Selbstbestimmung, das Erhalten der privaten Unterkunft und die Einbindung in das gewohnte soziale Umfeld, auch bei zunehmendem Pflegebedarf, verlieren durch die Sparmaßnahme an Stellenwert. Der Zusammenhang zwischen Pflegebedarf und Armutsgefährdung der von der Armutskonferenz schon vielfach problematisiert und belegt wurde, wird durch die geplante Maßnahme zusätzlich angefacht.
Die von der Bundesregierung geplante Verschärfung muss im Lichte dieser Aspekte als kontraproduktiv gesehen werden.