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Die Freude und das Leid an der Arbeit

Franz Astleithner meint, dass die Angst vor Flüchtlingen auch ein Produkt von Arbeitslosigkeit, Konkurrenz und Abstiegsängsten ist. Er erläutert, warum für uns die Arbeit so wichtig ist und welche Alternativen wir hätten. Klicken sie diesen Link, um den ganzen Beitrag zu lesen.

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Arbeit zwischen Selbstverwirklichung und Entfremdung
Ende des 18. Jahrhunderts kam in englischen Baumwollspinnereien jenes Phänomen auf, das Arbeit und unsere heutige Sicht darauf maßgeblich und anhaltend prägte: der Kapitalismus. Die Arbeit in kapitalistischen Verwertungszusammenhängen wurde zentraler Bestandteil unseres Lebens und strukturierende Kraft in der Gesellschaft. Deshalb ist die Frage nach dem Wesen der Arbeit seither ein grundlegendes Thema der Soziologie. Für Karl Marx war Arbeit sowohl Ideal als auch Mühsal. In ihr sah er einerseits die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung, durch die der Mensch sein Potential ausschöpfen kann. Die kapitalistische, arbeitsteilig organisierte Lohnarbeit jedoch bringe andererseits Leid und Ausbeutung mit sich, habe Entfremdung zur Folge. Émile Durkheim beschrieb Arbeit als jene Kraft, die die Grundlage für den Zusammenhalt einer Gesellschaft und die Integration von Menschen in die Gesellschaft darstellt. Durch die wechselseitigen Abhängigkeiten im Produktionsprozess kommt es zwischen den Gesellschaftsmitgliedern zu dem, was er organische Solidarität nennt.

Wohl eine der einflussreichsten Studien zur Bedeutung von Arbeit wurde von Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel in der Zwischenkriegszeit in einem von Massenarbeitslosigkeit betroffenen niederösterreichischen Dorf durchgeführt. Die Studie Die Arbeitslosen von Marienthal zeigte die negativen Folgen von Arbeitslosigkeit (in einer auf Erwerbsarbeit ausgerichteten Gesellschaft) auf und entwickelte daraus unterschiedliche Bedeutungen von Arbeit. Arbeit vermittelt demnach die Eingliederung in eine Zeitstruktur und eine regelmäßige Tätigkeit, ermöglicht Austausch und Erfahrungen außerhalb des engeren Familienkreises, bringt Anerkennung, weist einen Status in der Gesellschaft zu und ermöglicht die Beteiligung an kollektiven Zielen. Hingegen ist Arbeitslosigkeit mit einem Gefühl der Nutzlosigkeit und des Nicht-gebraucht-Werdens verbunden. Dass Arbeit diese positiven Funktionen erfüllen kann, ist unbestritten. Gleichzeitig können viele Arbeitsverhältnisse diese Bedeutungen nicht mehr gewährleisten, und es besteht die Gefahr, dass die Freude an der Tätigkeit verloren geht. Aber je nach Konstitution einer Gesellschaft und deren normativen Bewertungsmustern ist Erwerbsarbeit wohl nicht die einzige Möglichkeit, diese positiven Bedeutungen zu erfahren.

Die beim Kennenlernen übliche Frage, was jemand denn arbeite, und ebenso das Unbehagen einer arbeitslosen Person, die auf die Frage reagieren muss, illustrieren die zentrale Bedeutung von Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft. Wir fragen nicht nach anderen Tätigkeiten, bei denen wir uns vermutlich einigen könnten, dass sie sinnvoll sind – wie etwa nach sozialem Engagement oder dem Einsatz für Umweltschutz. Dabei fallen immer mehr Menschen aus dem Raster sichernder Erwerbsarbeit und finden keine passende Antwort auf die erste Frage. Sie könnten aber bei der Frage nach anderen Tätigkeiten vielleicht sehr viele Antworten geben.

Die Arbeit hoch – „so hoch, dass i sie nimma dagleng“
Wenngleich man die Frage nach alternativen Formen der Organisation von Arbeit immer stellen kann, vielleicht sogar stellen sollte, ist diese Zentralität der Erwerbsarbeit in Zeiten von Vollbeschäftigung und sozialem Ausgleich vergleichsweise unproblematisch.

Wird aber in einer kaum mehr wachsenden Wirtschaft Massenarbeitslosigkeit zum Standard, läuft eine Gesellschaft Gefahr, ihr eigenes Fundament zu untergraben. Österreich scheint sich mit der höchsten Arbeitslosigkeit seit 1950 in diese Richtung zu entwickeln. Im Jahresdurchschnitt sind schon fast eine halbe Million Menschen arbeitslos, und eine Million Menschen haben zumindest einmal im Jahr Kontakt mit dem Arbeitsmarktservice (AMS).

Für diejenigen, die nicht mehr in den Chor der arbeitenden Bevölkerung zum Lob der Arbeit einstimmen können, werden Ausschluss, Stigmatisierung, Hoffnungslosigkeit und existenzielle Bedrohung zum Alltag. Und das äußert sich umso mehr, je stärker die Erwerbsarbeit als immer knapper werdendes Gut zum goldenen Kalb stilisiert wird und Dynamiken der Arbeitslosigkeit sich selbst verstärken. Diejenigen, die noch Arbeit haben, sind bereit, – in Konkurrenz mit dem Heer aus Arbeitslosen – diese auch unter schlechten Bedingungen zu akzeptieren. Und um die eigene Leistung, eben nicht arbeitslos zu sein, hervorzukehren – vielleicht aus einem psychologischen Schutzmechanismus heraus –, distanzieren sie sich von jenen vermeintlich „Arbeitsunwilligen“, von denen sie vielleicht nur die kommende Kündigungswelle trennt.

Der französische Soziologe Robert Castel zeigte in seinen Forschungen eindrucksvoll die Zunahme prekärer Verhältnisse und wie weit Abstiegsängste und Verunsicherung mittlerweile bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind. Es ist genau diese Stimmung, auf deren Klaviatur rechtspopulistische Parteien den Abgesang des Abendlandes anklingen lassen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedroht. So wurde etwa die Migration von flüchtenden Menschen nur deshalb zur bedrohlichen „Krise“, an der die Europäische Union zu scheitern droht, weil die Menschen eine tief verwurzelte und durchaus begründete Angst vor sozialem Abstieg haben. In Zeiten von wirtschaftlichem Aufschwung und Arbeitskräftemangel wäre der gesellschaftliche Diskurs ein anderer. Doch derzeit beschleunigt sich dieses Karussell aus Arbeitslosigkeit, Abstiegsängsten, Konkurrenz und gesellschaftlicher Desintegration.

Die steigende Arbeitslosigkeit setzt die betroffenen Menschen unter Druck, schließt sie aus und macht sie krank. Auf der anderen Seite leiden die Erwerbstätigen unter Stress und zunehmender Intensivierung von Arbeit. Beide Entwicklungen finden wiederum gemeinsamen Ausdruck in der rasant steigenden Zahl psychischer Erkrankungen. Neben diesem Untergraben der sozialen Basis, zerstört die derzeitige Wirtschaftsweise aber auch zusehends ihren materiellen Unterbau, die Umwelt.

Das gute Leben – und was wir dabei berücksichtigen sollten
Das derzeitige Wirtschaftssystem, in dem Arbeit eingebettet betrachtet werden muss, scheint genau aus diesen Gründen nicht mehr nachhaltig funktionieren zu können. Viel schwieriger als diese Diagnose ist jedoch das Aufzeigen von Alternativen. Reflektiert man darüber, sollten meines Erachtens in jedem Fall die folgenden Aspekte Berücksichtigung finden.
Bezahlte Arbeit muss in Relation zu unbezahlter Arbeit, wie etwa Haushalts- und Versorgungs- sowie Pflegetätigkeiten, für die in Summe sogar mehr Zeit aufgewendet wird, betrachtet werden. Insgesamt verrichten Frauen mehr Zeit mit Arbeit als Männer, zum größten Teil aber unbezahlt, was zu (u. a. ökonomischen) Benachteiligungen führt. Außerdem müssen Fragen sozialer Absicherung – die derzeit an Erwerbsarbeit geknüpft ist – geklärt werden. Zentral bleibt die Frage, was in welchen Mengen produziert werden soll, ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Menschen, und darauf, wie deren Erfüllung (global) ermöglicht werden kann. Spätestens hier trifft der Mensch auf den limitierenden Faktor Umwelt. Und auch wenn diesbezüglich eine gewisse Regionalisierung notwendig oder wünschenswert ist, werden wir uns aufgrund der hohen Effektivität wohl nicht von dem Prinzip der Arbeitsteilung verabschieden wollen.

Was muss an (gesellschaftlich notwendiger) Arbeit erfüllt werden? Wie wird diese verteilt? Wie kann das auf eine nachhaltige Weise geschehen? Darauf müssen kollektiv Antworten gefunden werden. Was ist es, was wir brauchen? Brauchen wir Bücher in unseren Regalen oder die Zeit, sie zu lesen? Brauchen wir ein eigenes Auto, oder reicht es, wenn Mobilität öffentlich gewährt ist? Brauchen wir Zugang zu Bildung oder Unterhaltungselektronik? Utopien, in denen die Erwerbsarbeit eine weniger gewichtige Rolle im Leben einnimmt, gibt es viele. Frigga Haug und Frithjof Bergmann etwa zeigen mögliche andere Organisationsformen von Arbeit auf.

Haug schlägt vor – vorerst mehr als Gedankenspiel -, den Tag (abzüglich acht Stunden Ruhephase) in vier gleich lange Zeitblöcke zu teilen, die Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, kulturelle Entwicklung und politisches Engagement umfassen. So soll ein gleichberechtigtes und freies Leben möglich werden. Ein greifbarerer Ansatz zu einer anderen Verteilung von Arbeit ist eine Arbeitszeitverkürzung. Diese würde ermöglichen, bezahlte und unbezahlte Arbeit gerechter zu verteilen und beispielsweise mehr Raum für soziales und zivilgesellschaftliches Engagement, persönliche und berufliche Weiterbildung oder Einbringung in den Prozess der politischen Willensbildung erlauben.

Schlussendlich bleibt wohl eine zentrale Frage der Zukunft, wie ein gutes Leben für alle Menschen – global und intergenerationell – möglich ist.

 

Foto-AstleithnerFranz Astleithner Universitätsassistent am Institut für Soziologie der Universität Wien. Forscht zu migrantischen Ökonomien, sozialer Ungleichheit und Arbeit und Arbeitszeit.

Dieser Beitrag ist im RUNDBRIEF April 2016 erschienen. Der Rundbrief ist eine Monatszeitung mit sozialpolitischen Themen, Informationen aus der Sozialszene sowie aktuellen Veranstaltungs- und Fortbildungstipps, Herausgeberin ist die Sozialplattform OÖ.

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Die Sozialplattform ist ein regionales Netzwerk von Sozialeinrichtungen in ganz Oberösterreich, das 1985 gegründet wurde. 38 Vereine und gemeinnützige Unternehmen sind zurzeit Mitglied. Vernetzung, Service, Information und Vertretung für eine starke und aktive Sozialszene in OÖ. www.sozialplattform.at